Hinter dem Wasserfall
Einer der Gründe, warum so viele mit der Meditation aufhören ist, dass sie es nicht schaffen, an nichts zu denken. Dabei geht es am Anfang gar nicht darum.
Inhalte im Überblick
Mythos „Gedankenlosigkeit“
Irgendwie ist unsere Vorstellung von Meditation untrennbar mit der Idee verbunden, dass man dabei an nichts denken soll. Dabei ist unser Verstand die ganze Zeit übervoll mit Gedanken, Ideen, Erinnerungen, Gedanken über Gedanken, … häufig zeitgleich, widersprüchlich und über weite Strecken des Tages komplett unbewusst.
Diesen Strudel der Gedanken anzuhalten, erscheint – gerade dann, wenn man mit Meditation beginnt – eine nahezu unlösbare Aufgabe. Die Vorstellung, mit mentaler Kraft die Gedanken wegzudrücken, um dadurch Platz für Ruhe und Klarheit zu schaffen, sorgt häufig für Frustration („Ich schaffe das nicht, das ist zu schwer„) und anschließender Resignation („Ich kann das nicht, das wird nie klappen.„)
Statt sich daran abzuarbeiten mit Strenge, Zwang und Disziplin die eigenen Gedanken zu bändigen, kann es doch mal eine Idee sein, die Gedanken einfach Gedanken sein zu lassen. Sie zu integrieren, statt sie zu verdrängen. Sie von Störenfrieden in Helfer zu verwandeln. Willkommen zum Konzept des „Monkey Mind“.
„Monkey Mind“
Im buddhistischen Umfeld gibt es dafür den Begriff „monkey mind“ – Affen-Verstand. Unser Verstand ist so wie eine Gruppe von Affen: ruhelos, scheinbar unkontrolliert, teilweise voller Energie … und fast immer ist etwas in Bewegung. Und wenn sich gerade ein Gedanke zur Ruhe setzen will, kommt ein anderer Gedanke und gibt ihm einen Schubs oder eine Umarmung oder oder oder …
In der deutschen Sprache wird „monkey mind“ häufig mit „Gedankenkarussell“ übersetzt. Aber mal ehrlich: So richtig unvorhersehbar ist so ein Karussell jetzt nicht: Es dreht sich um eine Achse, hat eine feste Anzahl rotierender Komponenten und jede Karussellfahrt hat eine bestimmte Dauer. Wer einmal Affen betrachtet hat, weiß – sie sind immer für eine Überraschung gut. Selbst wenn man glaubt zu wissen, was jetzt kommt, schaffen sie es immer wieder, zu verblüffen, zu überraschen und in Staunen zu versetzen. Eben genau so wie unsere Gedanken!
Der riesige Vorteil, den regelmäßiges Meditieren bietet, ist die Fähigkeit zu entwickeln, ab und an aus dem Hamsterrad der Gedanken auszutreten. Mal einen Moment innehalten, sich das Rad von außen anzusehen, durchzuschnaufen und sich die Frage zu stellen: „Was war denn da gerade bei mir los?“. Das kann die Basis für ein höheres Maß an Achtsamkeit und Selbstbestimmtheit bilden.
Hinter den Wasserfall treten
Eine Vorstellung, die helfen kann, die Fülle der Gedanken ein Stück weit zu bändigen, ist die eines Wasserfalls: Stell Dir vor, all Deine Gedanken seien Wassertropfen in einem Wasserfall. Ein nicht abreißender Strom an Ideen, Impulsen, Erinnerungen, Sinneseindrücken, Gedanken, Gefühlen … und nun stell Dir vor, dass Du, statt Dich von der Menge der Eindrücke mitreißen und durcheinanderwirbeln zu lassen, einfach für einen Moment hinter den Wasserfall trittst. Die Gedanken haben jetzt nicht mehr die Kraft, Dich mit sich zu reißen, sondern laden ein, betrachtet, bewundert, losgelassen zu werden.
Kein Gedanke oder Gefühl in einer Meditation ist „schlecht“. Der Trick besteht ganz einfach darin, es in diesem Moment wahrzunehmen („Nachher muss ich aber noch ganz dringen jemanden zurückrufen“), einmal durchzuatmen und den Gedanken dann nicht weiterzuverfolgen, sondern loszulassen. … und das bei allem, was da gerade so kommt.
Der Erfolg im Scheitern
Immer wieder werden Gedanken kommen. Du wirst Dich dabei ertappen, einem Gedanken nachgehangen zu haben. Statt jetzt dem inneren Kritiker Raum zu geben, sich zu ärgern oder ein Stück weit wütend zu sein. Wichtig ist, einen liebevollen Blick auf die Gedanken, die Du hast, zu halten. Auch oder gerade wenn sie Dich erst mal irritieren. Das sind nur Gedanken, die Du gerade hast. Du bist nicht Deine Gedanken!
Der Moment, in dem Du erkannt hast, dass Du abgelenkt warst, ist der wichtigste in der ganzen Meditation, denn jetzt hast Du die Wahl Dich daran festzuhängen oder ihn einfach wieder loszulassen.
Und dann – irgendwann – wird es den Moment geben, an dem Du Dich dabei ertappst, dass Du gerade einen Atemzug lang nichts gedacht hast. Natürlich ist in dem Moment des Bemerkens der Zauber gebrochen, dann heißt es einfach: Aufmerksamkeit fokussieren und weitermachen.
Wenn es Dir gelingt, drei Atemzüge lang alle Eindrücke ziehen zu lassen, dann ist das eine Riesen-Leistung!
Meditation ist eben kein Zustand dauerhafter Gedankenlosigkeit, sondern die Fähigkeit die Vielfalt der Gedanken zu kennen und sich bewusst zu entscheiden, für einen Moment hinter den Wasserfall zu treten – immer und immer wieder.
Nach vielen Jahren scheint es mir manchmal so, als ob ich es – an guten Tagen – schaffe, für drei Atemzüge „an nichts“ zu denken. Wenn Du weißt, wie es vier werden könnten, verrate mir wie.
M. Fellehner